Früher wichtig, heute immer weniger: ein Parteibuch. Für Parteireformen interessieren sich meistens nur Parteimitglieder. Sollten sie aber nicht. Die Vorschläge aus dem Willy-Brandt-Haus bedeuten eine Verschiebung im Verhältnis BürgerIn – Partei – Staat und gehen damit alle an. Was bedeuten die Ideen der Parteizentrale für uns im Kiez? Wir müssen weg von der Eckkneipenpartei - und hin zur Kiezpartei.
■ Die SPD vor Ort ist die SPD
Wie sich die SPD im Kleinen aufstellt, ist dabei keine kleine Frage. Wenn eine Bürgerin oder ein Bürger wirklich Kontakt aufnimmt mit der SPD, geschieht das fast immer im eigenen Kiez. Früher haben Ortsvereine ihre Stärke aus Zusammenhalt und der Ähnlichkeit ihrer Mitglieder geschöpft – dem legendären Stallgeruch. Heute ist dieser das sichere Rezept für die eigene Bedeutungslosigkeit. Kieze sind bunter geworden. Abteilungen müssen es also auch werden, wenn sie nicht in die eigene Bedeutungslosigkeit abrutschen wollen. Deswegen ist es wichtig, genau hier jede und jeden, der mitmachen will, willkommen zu heißen. Ideen werden diskutiert und ernstgenommen.
■ Kiezpartei statt Kümmererpartei
Was ist also das Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern und der SPD im Kiez? Es gibt ein gefährliches, immer wieder vorgebrachtes Ideal: das der Kümmererpartei. Wir kümmern uns um die Probleme der Bürgerinnen und Bürger. Das klingt gut, ist aber falsch. Wer kümmert, steht oben. Die SPD muss aber an der Seite der Menschen stehen. Das ist kein kleiner Unterschied. Kümmererparteien glauben für die Bürgerinnen und Bürger zu sprechen und so verkümmert die Diskussion mit dem Bürger. Kiezparteien sind Teil des Kiezes und seiner öffentlichen Diskussionen– im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern werden die Interessen einzelner Gruppen sprichwörtlich erfahren, Gegensätze und Gemeinsamkeiten gesucht, Bündnispartner gefunden.
■ Interessen entdecken, eigene Interessen formulieren
Eine Partei im Kiez muss sich also als Kiezpartei entdecken. Das bedeutet nicht, einen Alleinvertretungsanspruch zu beanspruchen, wie es Bürgervereine gelegentlich tun. Als Kiezpartei ist der Anspruch: wir reden mit allen, entwickeln unsere Vorstellungen in der Diskussion mit vielen und suchen möglichst viele Bündnispartner für unsere Ideen. Dafür braucht es Handwerkszeug: den Kiez kennen und seine Vereine, Institutionen und Bürgerinnen wie Bürger. Wie kann man die erreichen, die oft nicht mitdiskutieren? Wie kann man Gruppen zusammenbringen, die sonst nie miteinander sprechen? Das alles kann eine Kiezpartei organisieren. Dabei vertritt sie aber immer ihre eigenen, im Kiez entwickelten Ideen.
■ Für die SPD begeistern: nur mit langem Atem
Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Institutionen für Parteien und Diskussionen mit ihr zu begeistern, ist ein richtig dickes Brett zum Bohren. Jede Bürgerin und jeder Bürger spürt sehr genau, ob man sie ernst nimmt oder die Diskussion mit ihnen nur Alibifunktion hat. Es gilt jedoch: wir sind in der Pflicht, Bürgerinnen und Bürger zu erreichen und wenn das nicht gelingt, müssen wir uns fragen, warum nicht – um es dann neu zu versuchen. Dabei gilt: langen Atem haben. Bürgerinnen und Bürger wirklich zu erreichen, das geht nicht in fünf Wochen, sondern erfordert fünf Jahre. Diese Zeit haben aber die Bürgerinnen und Bürger auch verdient.
■ Kommentar: Markus Roick